PROJEKT 2006/07 – »Tücke des Objekts« – TEILPROJEKTE

Erstarrtes Gesicht – lebendiges Ding:
Maskenmotive im deutschen Stillleben der Zwischenkriegsjahre

Katharina Ferus

Die Kunsthistorikerin Katharina Ferus untersucht den künstlerischen Umgang mit Masken am Beispiel der deutschen Stilllebenmalerei der 20er und 30er Jahre.

Nach den existentiellen Erschütterungen des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts bot die Gattung des Stilllebens für viele Künstler die Möglichkeit zu einer ›sachlichen‹ Bestandsaufnahme. Ihre Bilder machen jedoch deutlich, dass auch das Reich der Dinge von den Umbrüchen und Ambivalenzen der Moderne nicht verschont geblieben war. So wirkt in den Stillleben der neusachlichen Malerei das Nahe unantastbar, Fernes wird überdeutlich, Weiches erscheint hart und starr, Alltägliches unheimlich. Hinzu kommt ein ironisches Spiel mit verschiedenen Realitätsebenen: Bilder im Bild, Spiegel und Fensterausblicke irritieren den Blick und verweisen letztlich auf die Grundfrage von Schein und Sein. Dieses für die Gattung des Stilllebens insgesamt zentrale Thema erhält nun, gerade vor dem Hintergrund der Weltkriegserfahrungen, eine neue Dimension: Nicht mehr kunstimmanente Fragen von simulatio und dissimulatio (17. Jh.) oder die Autonomie bildnerischer Mittel (19./20. Jh.) stehen im Focus der künstlerischen Aufmerksamkeit, sondern das Verhältnis zwischen (lebendigem) Subjekt und (totem) Objekt ist auf neue Weise zum Problem geworden.

In diesem Zusammenhang kommt dem Masken-Stillleben eine Schlüsselfunktion zu. Zwar ist die Maske hier als ein vom Maskenträger abgelöstes Ding dargestellt, doch holt sie andererseits als ein (wie auch immer verfremdetes) Abbild das menschliche Gesicht in den Stillleben-Zusammenhang ein. Ganz konkret stellt sich damit die Frage nach Lebendigkeit und Tod, denn oftmals wirken die Masken-Gesichter im Stillleben lebendiger als ihre Pendants im neusachlichen Porträt. Das Motiv der Maske bildet insofern eine Schnittstelle zwischen dem menschlichen Körper und der Welt der Dinge, zwischen Lebendigem und Totem, zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit. Als solches gibt es im Stillleben Auskunft über die Identitätskrisen der Zwischenkriegszeit: die im Krieg erfahrene Gefährdung körperlicher und seelischer Integrität (Kanoldt, Kokoschka, Dix, Beckmann), die mit der Emanzipationsbewegung einhergehende Neudefinition der Geschlechterrollen (Dix, Höch, Wacker) und schließlich das mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten notwendig gewordene Verbergen von verfemter Identität (Nussbaum).

All diesen durch das Motiv der Maske berührten Themenkomplexen ist gemeinsam die Frage nach Authentizität: Ist das Leben nichts als ein bewegtes Rollenspiel mit wechselnden Kostümen? Sind die Masken als Dinge ›realer‹ und greifbarer als diejenigen, die sich hinter ihnen verbergen könnten: die ›verdinglichten‹ Menschen der modernen Massengesellschaft? Und schließlich: Sind die Dinge noch die Dinge, oder sind sie zu Requisiten in einem Welttheater geworden, dessen Dramaturgie den KünstlerInnen als zutiefst beunruhigend erschien?