PROJEKT 2007/08

Erscheinungen des Sakralen

Seit geraumer Zeit zeichnet sich eine Renaissance des Religiösen ab. Glaubensfragen rücken wieder mehr ins allgemeine Bewusstsein. Gegenwärtige Tendenzen zeigen sich in fortwährenden Säkularisierungsprozessen, die Einfluss auf scheinbar fest verankerte Traditionen nehmen, aber auch in der Revitalisierung überkommener oder der Schaffung neuer Glaubensgemeinschaften. Religiöser Pluralismus geht vielfach mit wachsender Toleranz gegenüber anderen Religionen einher. Zugleich wird jedoch Fundamentalismus – insbesondere muslimischer Fanatismus – von vielen als bedrohlich empfunden. Vor diesem Hintergrund nehmen die Forschungsvorhaben der dritten Projektgruppe der Isa Lohmann-Siems Stiftung Erscheinungen des Sakralen in den Blick.

Erscheinungen werden dabei nicht nur im engsten Sinne – als Visionen oder Offenbarungen – verstanden, sondern – allgemeiner – als Formen oder Manifestationen des Heiligen. Befragt werden sowohl genuin als auch quasi-religiöse Phänomene. Bilder, Symbole und Rituale wandeln sich. So sind etwa einige der im Zuge der Säkularisierung aus dem christlichen Kontext gelösten Zeichen und Handlungen heute ihrer dortigen Bedeutung entleert. Damit stehen sie einer profanen Aneignung und Umnutzung zur Verfügung. Teils ist mit ihnen allerdings weiterhin der Anspruch verbunden, zur Sinnstiftung in modernen Gesellschaften beizutragen. In dieser Funktion können sie als Äquivalente oder Ersatzformen von Religion betrachtet werden. Während manche Praktiken also nur vortäuschen, mit religiöser Bedeutung aufgeladen zu sein – wie etwa das Tragen eines strassbesetzten Kreuzanhängers als modisches Accessoire –, kann das Bedienen eines religiösen Instrumentariums, etwa in Wirtschaft oder Politik, als Erscheinung des Sakralen eingeordnet werden.

Solche Metamorphosen werfen zahlreiche Fragen auf: Welche historischen Prozesse haben diese Veränderungen herbeigeführt? In welchem Zusammenhang stehen informationstechnologische Entwicklungen und neue Ansichten und Handlungsweisen? Welchen Einfluss haben Modernisierung und die fortschreitende Globalisierung, die mittlerweile auch ethisch und theologisch debattiert wird? Wie sind Bedürfnisse nach Privatreligiösität entstanden – der zunehmende Wunsch, Glauben individuell und ohne institutionelle Richtlinien zu gestalten? Wie erklärt sich andererseits die vitale Anziehungs- und Bindungskraft fundamentalistisch-religiöser Gruppen etwa des evangelikalen Spektrums? Was geschieht mit religiösen Bildern, wenn sie aus ihrem kultischen Zusammenhang in den Alltag überführt oder gar zu Popikonen werden? Wie verändert sich eine Landschaft, wenn Kreuze demontiert, Dorfkirchen geschlossen oder aber Megakirchen errichtet werden? Können christliche Symbole inflationär werden? Im interdisziplinären Austausch sollten im Verlauf des dritten Forschungsturnus Fragen wie diese diskutiert werden.

Das Projekt lief seit dem 1. April 2007. Abgeschlossen wurde es mit einem Symposion am 11. Und 12. April 2008 im Warburg-Haus, Hamburg, sowie einer gemeinsamen Publikation.

 

Teilprojekte

Religiöse Phänomene in Kunst und Popkultur der Gegenwart
Dorothee Böhm

Tod, Transformation und Manipulation: Zeitgenössische Kunst im Schnittpunkt von Naturwissenschaft und Religion
Frances Livings

Vermittelte Religion. Zum Verhältnis von Pfarrer und Volkim Norddeutschland des 19. Jahrhunderts
Andreas Reucher